Geschwindigkeitsüberschreitung: Darf man bei einer Gefahr oder aus sonstigen wichtigen Gründen schneller fahren als erlaubt?Darf man bei Durchfall, heftigen Wehen einer Schwangeren etc. ausnahmsweise eine Geschwindigkeitsüberschreitung begehen?
Autofahrer überschreiten immer mal wieder die zulässige Höchstgeschwindigkeit. In der Regel führt der Autofahrer zu seiner Verteidigung einen aus seiner Sicht wichtigen Grund an. Es kam schon vor, dass Durchfall, heftige Wehen einer Schwangeren, einzuhaltende Termine oder die Erkrankung eines Tieres als Rechtfertigung für eine Geschwindigkeitsüberschreitung herhalten mussten. Doch wie erfolgsversprechend ist das? Kann bei Vorliegen einer Gefahr oder aus sonstigen wichtigen Gründen die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit tatsächlich erlaubt sein?
Darf man bei einer Gefahr oder aus sonstigen wichtigen Gründen schneller fahren als erlaubt?
Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann tatsächlich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen erlaubt sein. Dem Autofahrer kann nämlich ein sogenannter rechtfertigender Notstand zur Seite stehe. Geregelt ist dies in § 16 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Danach ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung gerechtfertigt, wenn der Autofahrer damit eine nicht anders abwendbare Gefahr für ein Rechtsgut (Bsp.: Leben, Gesundheit, Eigentum, Freiheit) von sich oder einem anderen abwenden will. Dies allein genügt jedoch noch nicht, einen Geschwindigkeitsverstoß zu rechtfertigen. Vielmehr bedarf es noch einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen. Das Interesse an der Abwendung der Gefahr muss das Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs wesentlich überwiegen. Zudem dürfen keine gleich wirksamen aber milderen Alternativen zur Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegen.
Welche Voraussetzungen müssen für einen rechtfertigenden Notstand vorliegen?
Im Einzelnen müssen folgende Voraussetzungen vorliegen, um einen Geschwindigkeitsverstoß zu rechtfertigen:
Bestehen einer Gefahr für ein Rechtsgut (Bsp.: Gesundheit einer Schwangeren)
Interesse an der Abwendung der Gefahr wiegt schwerer als Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs
In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, wie die allgemeine Verkehrslage und Verkehrsdichte zur Tatzeit war. War nämlich die Sicherheit des Straßenverkehrs zu keiner Zeit gefährdet, kann das Interesse daran zurücktreten. Zu beachten ist, dass auf die konkrete Gefährdungslage abgestellt werden muss. Auf die abstrakte Gefahr der Geschwindigkeitsüberschreitung kommt es nicht an.
Geeignetheit der Geschwindigkeitsüberschreitung zur Abwendung der Gefahr
Hier ist zu prüfen, ob die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt zu einem messbaren Zeitgewinn geführt hat. Zu fragen ist danach, ob der Geschwindigkeitsverstoß im Gegensatz zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung zu einer schnelleren Abwendung der Gefahr geführt hätte.
Kein Vorliegen gleich wirksamer aber milderer Alternativen
Schließlich muss danach gefragt werden, ob die Abwendung der Gefahr nicht auch durch andere Maßnahmen möglich war. Die Maßnahmen müssen aber zumindest genauso wirksam sein, wie der Geschwindigkeitsverstoß. So kann etwa das Herbeirufen eines Notarztes gegenüber dem zu schnellen Transport eines Kranken im privaten PKW eine bessere Alternative darstellen.
Überblick über Entscheidungen
Wir haben für Sie im Folgenden einen Überblick über Entscheidungen zum Thema Geschwindigkeitsverstoß und Rechtfertigung erstellt.
Eine Rechtfertigung verneinten die Gerichte in den folgenden Fällen:
Durchfall
– Autofahrer muss Fahrt beenden oder unterbrechen (Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 17.02.2014, Az. 19 OWi-89 Js 155/14-21/14)
– Kein Zeitgewinn durch Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund nahe gelegener Ausfahrt (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 06.12.2007, Az. IV-5 Ss-OWi 218/07 - (OWi) 150/07 I)
– Möglichkeit des Anhaltens am Seitenstreifen zur Verrichtung der Notdurft (Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 19.12.1996, Az. 1 Ss 291/96)
Rettung eines Wellensittichs oder Hundes
Interesse an Sicherheit des Straßenverkehrs überwiegt Interesse an Leben und Gesundheit eines Tieres (Amtsgericht Koblenz, Urteil vom 29.04.2013, Az. 2010 Js 43957/12.34 OWi, ebenso: Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 18.04.1990, Az. 2 Ss (OWi) 97/90 - (OWi) 30/90 II)
Gefahr des Erbrechens im Taxi
Interesse an Sicherheit des Straßenverkehrs überwiegt Interesse an Sauberkeit eines Taxis (Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 04.09.2013, Az. 3 Ss OWi 1130/13)
rechtzeitige Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch Rechtsanwalt
Berufliche Interessen müssen stets hinter dem Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten (Amtsgericht Cochem, Urteil vom 27.10.1980, Az. 109 Js (a) 58107/80)
Folgende Gründe können eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen möglicherweise rechtfertigen:
Rettung einer in Wehen liegenden hochschwangeren Frau (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 22.02.2015, Az. 5 Ss (OWI) 411/94 - (OWi) 211/94 I)
Noteinsatz eines Hausarztes (Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 03.10.2001, Az. 1 Ss OWi 824/01)
Warnung eines LKW-Fahrers vor ungesicherter Ladung (Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 17.05.1994, Az. Ss 169/94 (B) - 93 B)
Erforderliche Notoperation eines Facharztes im Krankenhaus (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 01.10.1990, Az. 1 Ob OWi 331/90)
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Ich staune immer wieder darüber, dass qua Zuständigkeit für die Aufstellung von Schildern, Anbringung von Fahrbahnmarkierungen pp im Bund trotz ansonsten bundeseinheitlicher Gesetzeslage unterschiedliche Straf- bzw Bußgeldrechtliche Rechtsfolgen erzeugt werden können. Etwa je nachdem, ob die jeweils dafürn zuständige Person selbst überzeugt Porsche oder Fahrrad fährt.
Was hatten es da doch einstmals die Schweizer so leicht, die nur einen einzigen Gessler Hut grüßen sollten.