Kann einem Hinterbliebenen wegen des infolge der Tötung eines nahen Angehörigen erlittenen seelischen Leids ein Schmerzensgeld zustehen?
Der Verlust eines nahen Angehörigen kann für viele Hinterbliebene psychisch sehr belastend sein. Ist die Person durch ein Verschulden eines anderen getötet worden, stellt sich die Frage, ob dieser für die erlittenen seelischen Leiden haftbar gemacht werden kann? Kann also ein Hinterbliebener Schmerzensgeld wegen seelischen Leids geltend machen?
Kann einem Hinterbliebenen wegen des infolge der Tötung eines nahen Angehörigen erlittenen seelischen Leids ein Schmerzensgeld zustehen?
alte Rechtslage
Nach der bisherigen Rechtsprechung stand einem Hinterbliebenen nur in eng begrenzten Fällen ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu, wenn ein naher Angehöriger durch fremdes Verschulden gestorben war. Voraussetzung war, dass der Hinterbliebene aufgrund des seelischen Leids eine eigene Gesundheitsbeeinträchtigung erlitt (sog. Schockschaden). Diese musste medizinisch erfassbare Auswirkungen haben und nach Art und Schwere deutlich über das hinausgehen, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.05.1971, Az. VI ZR 78/70). War diese Voraussetzung gegeben, konnte die Geltendmachung des Schmerzensgelds gerechtfertigt sein. Jedoch rechtfertigte die Trauer oder das seelische Leid allein kein Schmerzensgeld.
neue Rechtslage
Der Gesetzgeber hielt es für unzumutbar, dass die in Folge einer fremdverursachten Tötung erlittene Trauer und das seelische Leid als entschädigungslos hinzunehmendes Schicksal angesehen wurde. Er schaffte daher mit § 844 Abs. 3 BGB eine gesetzliche Regelung, die seit dem 22. Juli 2017 in Kraft ist. Nach dieser Vorschrift steht dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird nach Satz 2 der Regelung vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Auf das Vorliegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung in Form eines Schockschadens kommt es nicht mehr an.
Nicht zuletzt durch den Germanwings- Absturz der LH/4U wurde die neue gesetzliche Regelung des § 844 III BGB und ein "Schmerzensgeld" u.a. auch bei Flugzeugabstürzen für nahe Angehörige geschaffen.
Bislang gab es nur über die Rechtsprechung 2 Möglichkeiten, für nahe Angehörige, etwa Eltern oder Ehegatten und Erben Schmerzensgeld zu erhalten:
1. “Unmittelbare Eigenschäden” : Wenn ein Opfer vor seinem Ableben für mindestens eine "juristische Sekunde" wegen Erkennens der eigenen Todesgefahr einen eigenen Schmerzensgeldanspruch erlangt hatte, konnte ein solcher im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergehen. Hauptproblem hierbei war u.a. die Beweisbarkeit. Vgl. hierzu OLG Düsseldorf in einem lesensweren Urteil vom 12.10.2011, I-18 U 216/10 – wo neben Unterhaltsansprüchen und Bestattungskosten auch Schmerzensgeld für die Ehefrau und Witwe des Getöteten i.H.v. 10.000 € g emäß §§ 45 I, 49, 36 S.2 LuftVG i.V.m. § 1922 BGB ausgeurteilt wurden.
2. "Schockschadensfälle" des BGH: Hier konnte es Ansprüche auf ein Angehörigen- Schmerzensgeld geben, wenn etwa ein Familienangehöriger vom Tode eines nahen Angehörigen erfahren hatte, ohne selbst beim Unfallgeschehen dabei gewesen zu sein (sog. Fernwirkungsschaden). Ferner, wenn jemand schwere, lebensbedrohliche Verletzungen eines Angehörigen oder sogar dessen Unfalltod unmittelbar miterlebte.
Der BGH forderte hierbei in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. März 2012 – VI ZR 114/11), daß durch den Tod des Opfers psychisch vermittelte seelische Beeinträchtigungen der nahen Angehörigen Krankheitswert haben, also pathologisch fassbar sind und deshalb eine eigene Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen.
Hierbei war die Kausalität zwischen Nachricht vom Tod und der hierdurch eingetretenen Gesundheitsverletzung von den nahen Angehörigen zu beweisen.
Seelisches Leid wurde bis dato nicht berücksichtigt.
Es bleibt nunmehr der Rechtsprechung vorbehalten, den Begriff des "besonderen persönlichen Näheverhältnis" näher zu konkretisien. Über die Vermutungsregel für Ehegatten, Lebenspartner und Erben hinaus, wäre sicherlich auch noch eine Klärung betreffs weiterer Angehöriger i.S. § 15 AO hilfreich gewesen.